Müzeyyen Carrasco

Müzeyyen Carrasco - Interview

Erzähl mir etwas über deinen Hintergrund. 

Als Kosmopolitin schätze ich die unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten der Menschen: die Gastfreundschaft und Herzlichkeit, die ich im Nahen Osten auch von einfachen Menschen erfahren durfte, das Temperament der Südländer, die auch mal die Nacht zum Tag machen, die Pünktlichkeit der Deutschen, die Förmlichkeit der Asiaten, das Lebensgefühl und den Genuss der Franzosen usw. – ich könnte noch so viel Positives aufzählen. Ich glaube fest daran, dass Vielfalt die Menschheit bereichert und hilft, kreative Ideen zu entwickeln.

Wie hast du deine Schulzeit erlebt? 

Ich erinnere mich gerne an meine Schulzeit in Nordrhein-Westfalen, auch wenn mir meine Eltern aufgrund der einfachen Verhältnisse nicht immer helfen konnten. Ich hatte Ehrgeiz und kulturelle Unterschiede habe ich immer als Bereicherung gesehen, auch wenn es manchmal eine Herausforderung war. Andere hatten es vielleicht schwieriger, weil sie nicht wussten, ob sie in Deutschland bleiben können und wo sie sich zugehörig fühlen sollten. Für mich war das jedoch kein Thema. Ich wollte mich einfach weiterentwickeln und selbst die Veränderung werden. So ging es über die Realschule zum Abitur, dann irgendwann ein Jurastudium, das ich unterbrochen habe, weil sich mir eine ganz neue Welt eröffnete: die der elektronischen Bauteile.

Wie kam es dazu? 

Im November 1995 begann ich bei einem amerikanischen Distributor für elektronische Bauteile als “Mädchen für alles” zu arbeiten. Am Anfang war es ziemlich langweilig, aber ich brauchte eine finanzielle Grundlage, um mein Studium finanzieren zu können. Seit ich 14 Jahre alt war, kümmerte ich mich um meinen finanziellen Unterhalt, um meine Familie zu entlasten. Jedenfalls sah ich für mich keinen Sinn darin, mich als Empfangsdame in einer Firmenzentrale zu langweilen. Und so fasste ich mir eines Tages ein Herz und klopfte an die Tür des damaligen Geschäftsführers. Ich bat ihn, obwohl ich kaum Erfahrung im Vertrieb und Einkauf hatte, aber Sprachen besser beherrschte als viele meiner damaligen Kollegen in der Firma, mir hier eine neue Aufgabe zu geben, für die ich mich geeigneter sah. 

Und was ist dann passiert? 

Mein Chef schaute mich überrascht, aber auch neugierig an und fragte mich, ob ich anderswo eine bessere Stelle finden würde. Es folgte die Aufforderung, darüber nachzudenken. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich wirklich nicht darüber nachgedacht hatte, ob ich anderswo einen besseren Job finden würde. Es war einfach der unternehmerische Antrieb, etwas schaffen zu wollen, der aus mir sprach und der mein späteres Leben so sehr beeinflusst hat. Fast ein bisschen über mich selber erschrocken machte ich mich gedankenverloren auf den Heimweg, während der Regen mich durchnässte, und fing mir eine schwere Grippe ein, die mich für drei Tage außer Gefecht setzte. 

Zum Glück bin ich ein Stehaufmännchen. Nach drei Tagen und ein paar Fiebertabletten machte ich mich auf den Weg in die Firma. Ich wusste, dass ein Gespräch mit dem Chef folgen würde. Aber mit dem Ergebnis hatte ich nicht gerechnet. 

Im Büro des Chefs wurde ich mit einem Lächeln empfangen. Und humorvoll sagte mein Vorgesetzter zu mir: “Müzeyyen, Ihren Job gibt es nicht mehr.”  Ich dachte, das war’s und ich könnte meine Koffer packen. Doch der erfahrene Manager sah mich mit einem breiten Grinsen an und fügte hinzu: “Aber es gibt eine freie Stelle im Einkauf”.

Und so begann deine Karriere in der Elektroindustrie? 

Ich wurde ins kalte Wasser geworfen. Ich hatte keine Ahnung, wie das alles funktionieren sollte. Plötzlich musste ich mit Kollegen aus ganz Europa und den USA kommunizieren. Aber ich sah darin eine Chance, eine Herausforderung und es machte Spaß. Mein Ehrgeiz war geweckt und ich krempelte die Ärmel hoch. Jetzt war meine Zeit gekommen. Schnell eignete ich mir das nötige Wissen an und festigte meine Position als Einkäufer im Unternehmen. Es dauerte nicht lange, bis ich für den Einkauf im asiatischen Raum verantwortlich war und unser Lieferantenspektrum in der Region qualifizieren und erweitern konnte. Auch hier konnte ich mich gekonnt einbringen und dieses Kapitel endete damit, dass ich 1996 aufgrund meiner erfolgreichen Lieferkettenentwicklung mit der Geschäftsleitung die erste Electronica in Hongkong besuchen durfte.

Es gibt eine Anekdote von dir und deinem damaligen Vorgesetzten auf der Messe…

Ja, das war ziemlich lustig und prophetisch zugleich. Wir hatten einen Stand auf der Electronica und ein älteres Ehepaar kam auf uns zu. Keiner der verantwortlichen Manager war an seinem Platz, also übernahm ich das Gespräch. Das ältere Ehepaar schien so begeistert von mir zu sein, dass sie, sobald unser Vize da war, ihn mit den folgenden Worten begrüßten: 

“Sie haben eine tolle Mitarbeiterin. Sie wird eines Tages eine Managerin sein.“

Die Antwort meines Vizes war eher trocken. Er antwortete mit den Worten: 

“Das glaube ich nicht.”

Das blieb mir im Gedächtnis und erinnerte mich an meinen Lehrer, der einmal sagte: 

“Ich werde sowieso nur eine Mutter, eine Hausfrau oder eine Geliebte sein.” 

Das zeigt im Wesentlichen das Frauenbild der damaligen Zeit, welches Männer in der Elektroindustrie damals noch hatten und zum Teil heute noch haben. In diesem Zusammenhang ist es mir besonders wichtig, die jungen Mädchen und Frauen zu ermutigen, niemals aufzugeben. Wenn ich es als kleine, zierliche Frau mit Migrationshintergrund schaffen kann, dann kann es jede andere Frau auch schaffen. Es ist eine Frage der Einstellung. Frauen sind in dieser Branche den Männern gleichgestellt. Wenn es um Verhandlungen geht, ergänzen wir uns sehr gut. Es wird Zeit, dass einige Manager das endlich erkennen.

Wie war Asien für dich? 

Aufregend und herausfordernd zugleich. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Auf mich allein gestellt, musste ich meinen Weg finden. Mit meinem Einkaufswissen konnte ich beim Aufbau des ersten Büros in Singapur helfen.

Wann hast du Christian Meier zum ersten Mal getroffen? 

Christian Meier, heute Geschäftsführer der ComSIT GmbH, lernte ich 1996 auf der Electronica in München kennen. Der junge, adrette Manager stellte mir AKI (All Kind of IC’s), seine eigene Firma, vor. Damals hatte ich allerdings noch wenig mit europäischen Kunden zu tun. Trotzdem war ich neugierig und wollte mehr über die Firma erfahren. Auf der Messe sprachen wir über ein TDA-Bauteil von Infineon, und er meinte, dass nur er es beschaffen könne. Das musste ich natürlich widerlegen. Und das ist mir gelungen – und zwar mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht und zu einem niedrigeren Preis, als er das Bauteil hätte beschaffen können. Durch solche Aktivitäten erweiterte ich meine Fähigkeiten als Einkäufer und legte den Grundstein für meinen immer noch soliden Ruf auf dem asiatischen Kontinent. Es war auch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und Geschäftspartnerschaft.

Das war also der erste Kontakt, der alles ins Rollen gebracht hat? 

Das war der erste Kontakt, der alles ins Rollen gebracht hat. 

Mein Arbeitgeber baute weitere Niederlassungen in Europa und anderen Regionen der Welt. Die Zusammenarbeit mit Christian wurde immer enger. Im Laufe der Zeit kamen weitere Geschäftspartner hinzu. 2008 schlug ich dann einen neuen Weg ein. Ich wurde Teilhaberin der Firma ComSIT, an der auch Christian beteiligt war. Unser Ziel war es, Einkauf, Verkauf und Logistik besser zu bündeln und zu optimieren. Heute sind Christan und ich als CEO – Tandem im Unternehmen und haben große Pläne für die Zukunft. 

Bitte erzähle uns etwas über deine persönliche Unternehmensphilosophie.

Verantwortung für die Mitarbeiter zu übernehmen ist mir wichtig. Zu seinem Wort zu stehen ist wesentlich. Auf beides sind die Familien unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen, die eine Zukunft planen, ein glückliches Leben führen wollen, Sicherheit brauchen. Wir alle als Unternehmerinnen und Unternehmer sind es ihnen schuldig. Schließlich sind sie das Fundament unseres Erfolgs. Das vergessen viele Unternehmen oft. Gleichzeitig ist es mir wichtig, Frauen zu ermutigen, mehr in die Elektrotechnik zu gehen. Das erfordert nicht nur der Fachkräftemangel. Es geht auch darum zu beweisen, dass Frauen genauso gute Ingenieurinnen, Technikerinnen, Mechanikerinnen sind wie Männer. Wenn wir einen gemeinsamen Weg gehen, werden wir auch mehr Erfolg haben. Das hat mich meine eigene Erfahrung gelehrt. Vielfalt in allen beruflichen Situationen ist gut und bereichernd. Ein Gewinn für uns alle. 

Und dein persönlicher Wunsch? 

Ein Unternehmen zu schaffen, das Nachhaltigkeit lebt, das dazu beiträgt, unseren Planeten zu schützen, um den nachfolgenden Generationen etwas Schönes zu hinterlassen und nicht eine Ödnis, für die wir alle verantwortlich sind. Wir sollten uns nicht vorwerfen lassen, aus Profitgier nichts getan zu haben. Die technischen Möglichkeiten, Ressourcen sinnvoller zu nutzen, Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen, ihnen ein einfaches, aber gutes Zuhause zu geben, sind vorhanden. Wir müssen es nur wollen und anpacken.

Müzeyyen Carrasco

Ein starkes Team!

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